Gedanken zu Karfreitag

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Von Simone Lippmann-Marsch

Karfreitag. Ich finde die Gottesdienste an Karfreitag besonders atmosphärisch, besonders ruhig, besonders (be-)sinnlich. Karfreitag. An keinem anderen Feiertag wird mir das Leiden und der Tod Jesu Christi bewusster. Und zwar nicht, weil ich mir wirklich vorstellen kann, wie furchtbar es ist am Kreuz zu sterben. Wie sehr Jesus körperlich und seelisch gelitten hat, das kann sich bei beileibe wirklich niemand vorstellen. Vielleicht möchte ich es mir auch nicht vorstellen, weil ich nicht nur das schrecklich finde, sondern im Moment auch die Welt. Um ehrlich zu sein überfordert es mich sogar.

Ich traue mich manchmal gar nicht die Nachrichten anzusehen, weil ich es nicht aushalte. So viele Herausforderungen, Konflikte. So viel Ungerechtigkeit, Armut und Leid. Ich sehe eine Welt, die gespalten ist durch Hass, Vorurteile und Unversöhnlichkeit. Ich sehe eine Welt von Krisen und Unsicherheiten. Kaum ist die Pandemie rum, stehen Rechtsextremismus, Bauernproteste, Krieg, Inflation und Klimakatastrophen vor der Tür. Von meinen kleinen, alltäglichen Katastrophen traue ich mich schon gar nicht mehr zu sprechen. Wie soll ich es da noch aushalten auf das Kreuz zu sehen? Den leidenden Jesus anzusehen. Hinzusehen. Mit offenen Augen. Auch wenn es mich schmerzt? Auch wenn es mich überfordert?

Ja. Gerade deshalb! Denn inmitten all dieser Herausforderungen und Dunkelheiten steht das Kreuz Jesu als ein Zeichen der Hoffnung und der Liebe. Das Leiden Jesu am Kreuz zeigt mir die unermessliche Liebe Gottes zu uns Menschen. Es zeigt mir, dass Gott selbst bereit war, den tiefsten Schmerz und die größte Verlassenheit zu durchleiden, um uns nahe zu sein und uns zu erlösen. Boah. Was für ein Trost! Dadurch mildert es zwar keineswegs den Schmerz über die Welt, aber es tröstet mich! Es tröstet mich, dass da jemand war, der den denkbar schlimmsten Schmerz ausgehalten hat. Für mich! Der alles gegeben hat! Für uns! Mehr Liebe als am Kreuz konnte er mir und dir gar nicht zeigen. Und na klar, liebt er mich auch, wenn ich an Sinnlosigkeiten und Banalitäten und an der Zerrissenheit der Welt verzweifle. Trotzdem liebt er mich und dich. Und das gibt mir wieder Mut und Leidenschaft für die Herausforderungen in meinen Alltag, für mein Engagement im Glauben und in der Gesellschaft. Karfreitag. Kein anderer Feiertag zeigt mir so offensiv, was es heißt sich für Gerechtigkeit, Frieden und Versöhnung einzusetzen.

In letzter Zeit war ich häufig auf Veranstaltungen für Demokratie und Menschlichkeit. Nicht immer mit dem gleichen Enthusiasmus, aber immer mit dem Ziel sich für Solidarität und Mitgefühl einzusetzen. Ja, manchmal sind mir diese Worte auch zu groß, vielleicht auch manchmal schon zu leer, aber sie sind mehr denn je gefragt. Und immer wieder wird mir bewusst, dass wir gemeinsam einander beistehen und einander (er-)tragen müssen, um die anhaltenden Stürme zu überwinden.

Ja, das darf auch mal überfordern, das darf nerven und auch mal zu viel sein. Aber wir dürfen nicht gleichgültig sein und vor allem nicht bleiben! Ich möchte auf keinen Fall wegschauen, wenn People of Colour, queere Jugendliche, jüdische Menschen, Frauen, psychisch Erkrankte, behinderte Menschen, Menschen mit Migrationshintergrund und so viele mehr unterdrückt, diskriminiert und ausgeschlossen werden. Ich möchte diejenigen sehen, deren Stimmen ungehört bleiben und deren Leiden oft unbeachtet bleibt. Ich möchte für sie eintreten und mich nach meinen Möglichkeiten für eine gerechtere und barmherzigere Welt einsetzen.

Und gerade in einer Zeit, in der wir mit so vielen Unsicherheiten konfrontiert sind, ist die Botschaft des Kreuzes von größter Bedeutung. Sie erinnert mich daran, dass ich nicht allein bin, dass Gott immer bei uns ist, selbst in den dunkelsten Stunden. Sie erinnert mich daran, dass das Leiden und der Tod nicht das letzte Wort haben, sondern dass die Liebe und das Leben triumphieren werden.

Ich möchte an diesem Karfreitag genau deshalb nicht nur das Leiden Jesu bedenken, sondern auch die Herausforderungen dieser Zeit. Ich möchte das Kreuz bewusst als ein Zeichen der Hoffnung und der Liebe betrachten, das mich dazu inspiriert, selbst Hoffnungsträger und Liebesboten in einer zerrissenen Welt zu sein.

Ich möchte Jesus sehen, der selbst durch die tiefsten Täler der Verzweiflung ging und dennoch Hoffnung und Trost fand, nicht in den Umständen, sondern in seiner Beziehung zu Gott.

Karfreitagsbotschaft, das heißt für mich in diesem Jahr: Auch wenn du das Gefühl hast unterzugehen, dann wünsche ich dir, dass du wieder aufstehen kannst und dann so tanzt, als ob du morgen nicht kennst.

Amen

Die Autorin ist Kreisjugendpafarrerin und hat einen Predigtauftrag für die Kloster- und Waldkirchengemeinde Lehnin. Vor ihrem Pfarrberuf war sie 10 Jahre als Marketing- und Eventmanagerin beim TÜV Rheinland tätig. Sie treffen sie beim Motorradfahren, beim Joggen und bei Instagram @simoneperdu.

 

 

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