Schritte in die Passionszeit

Der erste Schritt in die Passionszeit

Liebe Mitlesende,

gehen wir einen ersten Schritt, heute am Aschermittwoch.

Asche - verbrannt aus den Träumen für morgen
Zeichen des Aufbruchs
Wir ziehen hinauf nach Jerusalem
Das Zeichen des Todes, die Asche, an den Lebenden
Das Aschekreuz auf der Stirn
Wir kreuzigen das Denken dahinter
Sonst wäre es nicht denkbar, der Aufbruch, der Weg, das Ziel, die Nacht und der Morgen danach
Gezeichnet brechen wir auf
Wie Aussätzige
Wie Narren
Wie Söhne und Töchter Kains
Was, wenn das keine Frage ist…

Herzliche grüßt Sie und Euch alle - Ihr/Euer

Matthias Stephan

Der zweite Schritt in die Passionszeit

Liebe Mitlesende,
gehen wir einen zweiten Schritt in die Passionszeit, heute am Freitag, den 19.02.2021.

Wir ziehen hinauf nach Jerusalem.
Setzen wir dahinter ein Ausrufezeichen, könnte es ein Ausruf der Freude sein.
Ein Festzug, frohe Erwartung, singen, Brot und Wein.
Ziehen wir so los? 
Kommen wir so an?
Das gab es so jedenfalls lange nicht.
So ist es denn ein Wunsch, eine Erwartung.
Pessach in Jerusalem!
Fest der Befreiung!
„Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe.“
Fest der Hoffnung bis heute.
Wann kommt der Messias? Zu Pessach!
1994 in Jerusalem. Rabbi Menachem Mendel Schneerson, der Lubawitscher Rebbe, er könnte es sein, der Messias. Das glauben, bis heute, vieler seiner Anhänger. Aber er ist schwer krank, damals.
So waren zu Pessach Hunderte, vielleicht Tausende, seiner Lubawitscher in Jerusalem, um für ihn und seine Heilung zu beten und ihn auf Transparenten zu grüßen mit dem Ruf: „Gesegnet sei der kommende König Messias!“
Als er dann im Juni 1994 starb, erwarteten seine Anhänger seine Auferstehung: „…so wie bei Jesus“.
Wir ziehen hinauf nach Jerusalem.
Wir wissen, was uns erwartet.
Karfreitag
und
Ostersonntag.
So ziehen wir los. In Angst und Hoffnung, Erwartung und Zweifel, ob´s denn auch wahr ist.
Wir suchen den Weg.
Wir setzten unsere Schritte.
Lieber zaghaft und vorsichtig.
Ob der Boden hält?
Ob er Brot und Wein geben wird für ein Fest
Ob der Himmel seinen Segen geben wird?
Wir ziehen hinauf nach Jerusalem.

Der vierundzwanzigste Schritt in die Passionszeit

Liebe Mitlesende, es ist Karsamstag, der 03.04.2021 - Tag der Grabesruhe des Herrn, Tag der „Höllenfahrt Christi“
„Aus der Tiefe rufe ich, HERR, zu dir.“ (Ps 130,1)
Dieses Psalmwort könnte über diesem Tag stehen, dem Tag der Grabesruhe Jesu,
an dem er, wie wir im Glaubensbekenntnis sagen, „Hinabgefahren (ist) in das Reich des Todes…“.
Was kann damit gesagt sein?
Zum einen ist es eine Antwort auf die Frage, wo Jesu Seele zwischen seinem Tod am Karfreitag und seiner Auferstehung am Ostermorgen war?
Zum anderen wird damit noch einmal festgehalten, dass Jesus wirklich gestorben ist und nicht nur scheintot war, wie eine Lehre, die Gnosis, in der frühen Christenheit betonte.
Und ein weiteres ist der mythische Gedanke, dass Jesus bei seiner „Fahrt in die Unterwelt“ hinabgestiegen sei, um dort die Seelen der Gerechten seit Adam zu befreien.
Denn war Jesus der „Erstling der Auferstandenen“, dann waren alle bis dahin Verstorbenen noch nicht im „Himmel“…
“In ihm (dem Geist Gottes) ist er auch hingegangen und hat gepredigt den Geistern im Gefängnis.“ So lesen wir im 1. Petrusbrief (1.Petr. 3,19), der klassischen Stelle für diese Vorstellung.
Dann gibt es nichts und niemanden und keinen Ort, wo der Sieg Gottes über den Tod, nicht hingelangt wäre!
Alle, auch die, die in ihrem Leben nichts von Christus gehört haben oder (noch) nicht hören konnten, hören es nun von ihm selbst: Christus predigt auch den Toten!
Die sogenannte „Höllenfahrt Christi“ ist Ausdruck der Universalität des Heils, das Gott für uns wirkt.
Im Hymnus des Philipperbriefes lesen wir:
„Darum hat ihn auch Gott erhöht
und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist,
dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie,
die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind,
und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist,
zur Ehre Gottes, des Vaters.“ (Phil. 2, 9-11)
So warten und hoffen wir in dieser Nacht, auch unserer Todesnacht, auf den neuen Morgen und die aufgehende Sonne!
Das wir neu hören, was schon einmal ein Anfang war:
„Es werde Licht!
Und es ward Licht.“

Der dritte Schritt in die Passionszeit

Liebe Mitlesende,
der Plan für den Weg „hinauf nach Jerusalem“ ist nach einigem Überlegen der, dass ich an den Sonntagen den Namen der Passionssonntage nachgehe und in der Woche von dort aus den Erzählungen der Passionsgeschichte nach dem Markusevangelium folge und gelegentlich durch Erweiterungen bei Lukas ergänze.
Damit ist ein Weg gut vorgezeichnet und so kommen wir hoffentlich gut bis Ostern ans Ziel.
Gehen wir einen dritten Schritt in die Passionszeit, heute am Sonntag, 21.02.2021, Invocavit – „Wenn er mich anruft…“

Evangelium dieses Sonntags ist die Erzählung von Jesu Versuchung in der Wüste (Mt 4)
„Da sprach der Versucher zu ihm…“
Vielleicht liegt eine Versuchung immer darin, wem wir uns zuwenden, wen wir hören, zu wem wir sprechen,
zu wem wir in der Not gehen, wessen Macht wir vertrauen, wem wir Macht über uns zugestehn.
Jesus und der Versucher, der Einreder, der Besserwisser, der dem vieles möglich ist.
„Wenn du Gottes Sohn bist, dann habe ich recht und nichts wird dir mit meiner Hilfe unmöglich sein.
Wünsche werden sich dir erfüllen, von denen du noch nicht einmal wusstest, dass du sie haben würdest.
Gehe immer einen Schritt zu weit, erst dann wirst du an deine Grenzen kommen.“
Der Versucher, der Diabolo, der „Durcheinanderwerfer“.
Seinen Einreden zu folgen, macht „Kaugummi im Kopf“: „Was er sagt klingt überzeugend, auch wenn ich es vorher noch nie gehört habe.
Und es eröffnet ja ganz neue Möglichkeiten! So vieles würde mir möglich sein. Nichts könnte mir passieren. Ich hätte Macht über alle und alles in der Welt!“
Wer könnte dem widerstehen?
Unser Ehrgeiz, unsere Sorge, zu kommen, unsere Angst sind seine Einfallstore in unsere Seele und unser Herz.
Und schon wären wir mit ihm im Bunde, ihm versprochen, ihm verschrieben und Gott wäre abgeschrieben.
„Wenn er mich anruft, dann will ich ihn erhören.“
Noch ruft Gott nach uns; noch gilt uns sein Heil, die unsere Rettung ist.
Wir können von der Zinne des Tempels zurücktreten, wir können von Berg der Macht herabsteigen.
Wir würden nichts verlieren, aber das Leben gewinnen – für uns und viele andere.
Ich lese die Erzählung noch einmal…Wer hat Jesus zum Versucher in die Wüste geführt? Der Geist.
„Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht würde.
Habe ich das so schon gelesen?
Man wird nicht fertig mit diesem Buch!

Der vierte Schritt in die Passionszeit

Liebe Mitlesende,

das Evangelium des letzten Sonntag gab das Stichwort „Versuchung“, dem auch heute, am Mittwoch, 24.02.2021, weiter nachgegangen werden soll.

Die Bitte der Söhne des Zebedäus (Mk 10,35-42) könnten wir auch als Versuchungsgeschichte lesen.
Jakobus und Johannes bitten Jesus, dass sie in seiner Herrlichkeit neben ihm sitzen können – einer zu Rechten, der andere zur Linken. Sie wollen sein, wo er ist.
So dicht wie eben möglich. In seinem Blick und immer im Blick der anderen sein.
Ihr Name neben dem seinen, verbunden für immer.
Mit dem Blick auf heute würde ich sagen: „Machtmenschen“,
die sich von der Macht anderer angezogen fühlen wie Motten vom Licht,
die etwas von dem Glanz eines oder einer anderen abhaben und darin sonnen wollen,
die sich nicht mit den „Krümeln zufriedengeben, die vom Tisch ihres Herrn fallen“.
Mir fällt etwas aus dem Biologieunterricht ein: Pflanzen drehen sich immer Licht, der Phototropismus.
Was bei Pflanzen natürlich ist, gehört das auch zu unserer menschlichen Natur, dass wir uns zu denen drehen und nach denen richten, die im „Licht“ stehen?
Was ist aber mit den anderen, in dieser Geschichte mit den zehn Jüngern?
Sitzen sie „in der zweiten Reihe“? Haben sie eben nicht zuerst gefragt?
Waren sie nicht schnell genug? Fehlt es ihnen an Ehrgeiz oder wie man heute eher sagt: an Zielen?
Oder wären die anderen nie auf die Idee gekommen zu fragen?
Wenn das auch eine Versuchungsgeschichte sein kann, worin liegt dann die Versuchung?
Im Bild des Weges gedacht: in der Abkürzung. Die Söhne des Zebedäus wollen allein und als erste ans Ziel, wollen gleich die Treppe hoch, gleich auf dem Thron sitzen – in deiner Herrlichkeit einer zur Rechten und einer zur Linken.
Die Versuchung liegt so auch im Weghören, im halben Hinhören im Ausblenden oder Verdrängen, denn falls ihr Wunsch überhaupt erfüllt werden kann, das Leid und das Leiden kommen vorher.
So sagt es Jesus von seinem Weg, so sagt er es den beiden von ihrem Weg: „Ihr wisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde?“ Ihre Antwort, „Ja, das können wir.“, kommt mir zu schnell.
Mir klingt es nach einem: „Ja, ja und was sagst du nun zu unserem Wunsch?“
Wer den zweiten Schritt vor dem ersten oder ohne den ersten machen möchte, kann leicht stolpern und ist dann statt vorne dabei auf dem Weg ziemlich allein.
„Und als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes.“

Der fünfte Schritt in die Passionszeit

Liebe Mitlesende,

der Text mit der Bitte der Söhne des Zebedäus hat noch einen weiteren Aspekt, der heute am Freitag, 26.02.2021, kurz bedacht werden soll.

Zur Versuchung, allein vor allen anderen ans Ziel zu kommen, gehört auch immer die Versuchung der Herrschaft.
Jesus spricht das in den Worten im Markusevangelium sehr klar aus (Mk 10,43-45):
„Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an.“
Wie damals, so auch heute. Hat sich denn gar nicht geändert?
Oder sollten wir froh sein, wenn wir hoffen dürften, dass es nicht schlimmer geworden ist?
Die Versuchung der Herrschaft liegt doch auch darin, dass ich, wenn ich schneller „oben“ bin als die anderen, ich auch schneller nach „unten“ treten und kann so andere daran hindern kann, ebenfalls nach „oben“ zu kommen.
Wie viele Menschen wohl von solchen Tritten und den Schmerzen, die sie mit sich bringen, erzählen können?
Und wie viele andere wegen des Tretens nicht mal ein schlechtes Gewissen haben?
Wieder im Bild des Weges gesagt, ist es besser, als Gruppe auf dem Weg zusammen zu bleiben und noch besser, zurückzustehen und zu schauen, dass es allen anderen vor mir gut geht.
„Unter euch aber sei es nicht so, sondern: Wer unter euch groß sein will, sei euer Diener, und wer unter euch der Erste sein will, sei der Knecht aller.“
In der Gemeinde, der Weggemeinschaft Jesu, soll es also nicht nur etwas anders, sondern ganz anders sein als in der „Welt“, weil er ganz anders und Gott der ganz Andere ist.
Das ist ein Ideal, das sicher in Gemeinden und der Kirche auch schon erreicht wurde und doch immer wieder ein Ideal bleibt.

In der IV. These der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 heißt es – gültig bis heute:
„Die verschiedenen Ämter in der Kirche begründen keine Herrschaft der einen über die anderen, sondern die Ausübung des der ganzen Gemeinde anvertrauten und befohlenen Dienstes.“
Das bleibt nach Gottes Zuspruch der Anspruch an unser Kirche-Sein in der Welt.

Der sechste Schritt in die Passionszeit

Liebe Mitlesende,
der zweite Sonntag der Passionszeit trägt den Namen Reminiscere – „Gedenke, HERR, an deine Barmherzigkeit …“.
Mit dieser Bitte gehen wir in diese Woche, die heute mit dem Sonntag, 28.02.2021, beginnt.

Die Spur auf unserem Weg, den wir bisher gegangen sind, vertieft sich.
Hoffentlich bleiben wir nicht stecken.
Es ist die Spur der Versuchungen, denen wir immer wieder erliegen: schneller zu sein als andere, Kontrolle und Macht über anderen zu haben, zu leben, als gäbe es kein Morgen.
Das alles hinterlässt tatsächlich Spuren, im Leben der anderen, auf dem Angesicht der Erde, in unseren Seelen.
Unser Klassenlehrer sagte früher zu uns, wie sollen so leben, dass wir uns jeden Tag noch im Spiegel erkennen können.
Wir leben in Zeiten, in denen das wieder hart auf die Probe gestellt wird…Aber vielleicht will ich das ja gar nicht sehen?
Vielleicht erreicht uns dann immer noch das Wort, das diesem Sonntag seinen Namen gegeben hat.
Der Beter des 25. Psalm ruft zu Gott: „Gedenke, HERR, an deine Barmherzigkeit und an deine Güte, die von Ewigkeit her gewesen sind.“
Eine Bitte, fast wie ein Flehen. „Lass mich nicht allein. Bleibe bei mir und überlasse mich nicht den Folgen meiner Taten. Du kannst mir doch vergeben und mir damit einen neuen Anfang schenken.“
Wären das unsere Worte, aus dem Herzen gesprochen, die Welt und wir wären gerettet!
Es sind aber nicht unsere. Diese Worte gehören dem König David.

Aber wir können sie uns borgen, sie leihen und ausprobieren. Verändert sich etwas, wenn ich diese Worte spreche?
Ich wende mich Gott zu. Das wäre - im wahrsten Sinne - eine Revolution, eine Umwälzung, eine Veränderung der Ausrichtung – hin zu Gott: „Gedenke, HERR,…Meine Lippen sprechen zu dir und mein Herz sucht dich“.
Das verändert alles. Meine Seele wird frei.
„Auf meinem Weg bin ich nicht allein, das erkenne ich jetzt. Du gehst ihn mit. So kannst du mir heraushelfen, wenn meine eigenen Spuren mich nicht mehr loslassen und ich nicht weiterkomme.
Es wäre nur gerecht, mich hier zu lassen, aber ich hoffe auf deine Barmherzigkeit, durch die ich wieder auf die Beine kommen und meinen Weg weiter gehen kann.“
König David hat es in seinen Worten so gesagt: „Die Wege des HERRN sind lauter Güte und Treue für alle, die seinen Bund und seine Zeugnisse halten.
Um deines Namens willen, HERR, vergib mir meine Schuld, die da groß ist! (Ps 25,10.11)

Der siebente Schritt in die Passionszeit

Liebe Mitlesende,
beim siebenten Schritt in die Passionszeit, heute am Mittwoch, 03.03.2021, begegnen wir auf unserem Weg dem Bartimäus…

Der blinde Bartimäus – eine dennoch und in jedem Sinne anschauliche Geschichte, nicht nur für Kinderbibeln.
Im Nachdenken über Bartimäus können wir zu manchen Einsichten über uns und unserer Leben kommen und die Augen könnten uns aufgehen,
dass wir erkennen, wie es um uns steht,
dass wir uns wieder im Spiegel erkennen,
dass wir unser Selbstbild verändern oder sogar erst zurückgewinnen.  
Bartimäus, der blinde Bettler, gehört an den Rand der Gesellschaft; dort hat er seinen Platz gefunden oder vielmehr wurde er ihm bestimmt zugewiesen.
Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist ihm aus Sicht der anderen in seiner Unansehnlichkeit jedenfalls nicht möglich und ist wohl auch nicht erwünscht.
Sein Betteln wird akzeptiert; er wird bekommen, was er zum Überleben braucht – auch eine Art gesellschaftliches Grundeinkommen…
Dafür soll er seinen Platz am Rand der Gesellschaft akzeptieren, soll „die Klappe halten“ und schweigen und sich so unauffällig wie möglich verhalten.
Das geht im Leben von Einzelnen und von gesellschaftlichen Gruppen so lange gut, bis ein alles veränderndes Ereignis eintritt,
bis man nicht mehr schweigen kann und auf die Straßen gehen muss, um seinem Protest Luft zu machen.
Dieses Ereignis war für Bartimäus die Nachricht vom Kommen Jesu.

Von ihm muss er gehört haben, so viel oder wenig jedenfalls, dass er seine ganze Hoffnung, aus seiner Lage gerettet zu werden, auf Jesus setzt.
Jetzt rebelliert Bartimäus, er fällt aus der Rolle, er bricht sein Schweigen und beginnt zu rufen: „Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner!“
Erwartungsgemäß eckt er damit bei den anderen an. Sie wollen, dass er schweigt und sich weiter in sein Schicksal fügt.
Aber er lässt sich nicht mundtot machen, Bartimäus schreit noch lauter nach seinem Retter: „Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner!“
Würden wir von dieser Geschichte einen Film sehen, wäre das der vielleicht spannungsreichste Moment.
Was passiert JETZT? Alle sind wie erstarrt; keiner wagt, etwas zu sagen. Alle schauen abwechselnd zu Jesus und zu Bartimäus.
Was wird Jesus tun? Das Rufen konnte er unmöglich überhören.
Wird er dennoch weitergehen und alles geht weiter wie immer?
Oder wird er stehen bleiben und damit kommt alles in Bewegung?

Der achte Schritt in die Passionszeit

Liebe Mitlesende,
die Geschichte von Bartimäus war am Mittwoch noch nicht zu Ende erzählt, heute am Freitag, den 05.03.2021, die Fort-Setzung.

„Und Jesus blieb stehen…“
Womöglich ist das schon das Wunder – das sich Jesus auf seinem Weg unterbrechen lässt, dass er sich Bartimäus zuwendet, dass Jesus zurückschaut, was die wörtliche Übersetzung für „Respekt“ ist, dass Jesus ihm Respekt erweist und ihm damit etwas von seiner Würde zurückgibt, die so lange im Staub saß.
Nun ändert sich alles, auch die Menschen um Bartimäus herum, denn als Jesus ihn zu sich rufen lässt, ermutigen sie Bartimäus, zu Jesus zu gehen.
„Da warf er seinen Mantel von sich, sprang auf und kam zu Jesus.“ Die wiedergewonnene Würde bringt ihn auf die Beine, lässt ihn aufstehen und aufrecht gehen.
Und dann wird Bartimäus auch noch gefragt! „Was willst du, dass ich für dich tun soll?“
Jesus ist nicht die gute Fee, bei der man drei Wünsche frei hat; in dieser Frage, was Bartimäus will, das Jesus für ihn tun soll, drückt sich für mich aus,
dass Jesus den Bartimäus ernst nimmt, in dem, was er jetzt braucht.
Wie viele Menschen wohl überall auf diese Frage warten?!
Endlich sagen zu können, was ich brauche, was mir hilft, was mich auf die Beine bringt und mir hilft, wieder aufrecht durchs Leben gehen zu können.
Bartimäus möchte wieder sehen können. Aber das kann er doch schon wieder, weil Jesus ihn gesehen und angeschaut hat und ihm damit sein Ansehen zurückgegeben hat!
Das Leben von Bartimäus war vorher ein ver-rücktes, als er aus der Mitte der Gesellschaft an den Rand gerückt wurde;
jetzt hat er einen neuen Platz und einen neuen Lebens-Weg gefunden:
„…und folgte ihm nach auf dem Wege“.
Im Nachdenken über diese Geschichte könnte eine Frage offen bleiben:
Gehen wir an Bartimäus vorbei oder sitzen wir wie er am Rand und würden Heil und Rettung finden, wenn wir wie er nach Jesus rufen und vielleicht auch schreien würden?
Aber dann müssten wir vorher erkennen, dass wir nichts erkennen und wie blind sind in dieser Welt.

Der neunte Schritt in die Passionszeit

Liebe Mitlesende,
am Sonntag, den 07.03.2021, am dritten Sonntag der Passionszeit mit dem Namen Okuli – „Meine Augen sehen stets auf den Herrn“ – ist das Thema der Nachfolge im Blick…

Nachdem wir auf unserem Weg „hinauf nach Jerusalem“ dem blinden Bartimäus in Jericho begegnet sind, nehmen wir uns heute Zeit, darüber nachzudenken, was es bedeuten kann,
Jesus nachzufolgen. Das Evangelium an diesem Sonntag endet mit dem Vers: „Jesus aber sprach zu ihm: Wer die Hand an den Pflug legt und sieht zurück,
der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.“ (Lk 9,62) Wer zurückblickt….Ich ahne schon, was Jesus meint: Nicht Festhalten an dem, was einmal war, Loslassen können,
sich nicht zu sehr binden, möglichst wenig „Gepäck“ haben und immer nach vorne schauen!
Meine Lebenswirklichkeit ist das nicht. Ich freue mich an dem, was war, bin gerne an dem Ort, an dem ich lebe und arbeite, hoffe, dass morgen ganz vieles so ist wie heute und viel Zeit bleibt, Erfahrungen, Erlebnisse, Geschichten zu sammeln. Sicherlich wird so manche und so mancher mit mir von diesem Ernst und dieser Radikalität überfordert sein,
denn sogar das Begraben des verstorbenen Vaters ist mit dem JETZT der Nachfolge Jesu nicht vereinbar.
Wer kann, wer will da noch Jesus nachfolgen?! Oder ist es anders, eher bildhaft oder im übertragenen Sinne gemeint und wir können wieder auf- und durchatmen?
Die Schrift ist unveränderlich und die Meinungen sind oft nur ein Ausdruck der Verzweiflung darüber, schreibt Franz Kafka und hat recht damit –
auch für das Verständnis der radikalen Nachfolge Jesu. Es ist zum Verzweifeln! Dann kann Jesus also doch nur mit Wenigen weiterziehen?
Wer weiß, wie die Welt aussähe, wenn es zu allen Zeiten mehr Menschen gemacht hätten…?
Neben dieser Beweglichkeit und Mobilität kannte die Kirche immer auch eine andere Tugend, die der „stabilitas loci“, der Gebundenheit an einen Ort oder vielmehr an den Ort,
an den Gott die Menschen gesetzt hat und dass sie gut daran tun, das zu erkennen und „ihren“ Ort nicht ohne Not zu verlassen.
„Meine Augen sehen stets auf den Herrn“ – von einem festen Ort aus oder auf der Wanderschaft.

Der zehnte Schritt in die Passionszeit

Liebe Mitlesende,
mit einem Tag Verspätung  - dafür bitte ich um Nachsicht – können wir heute den zehnten Schritt in die Passionszeit hinein gehen.

Das Wort der Nachfolge lässt mich noch nicht los, geht mir noch nach.
Ich lese in Dietrich Bonhoeffer Buch „Nachfolge“ und begegne dort dem radikalen Verständnis des Rufes Jesu in die Nachfolge: „Nachfolgen heißt bestimmte Schritte tun.
Bereits der erste Schritt, der auf den Ruf hin erfolgt, trennt den Nachfolgenden von seiner bisherigen Existenz…In der alten Situation bleiben und nachfolgen schließt sich aus.“
Nun bleibt es für Dietrich Bonhoeffer eine Gewissheit, dass der Ruf in die Nachfolge von Jesus, dem Christus, ausgehen muss, der nicht eine Idee oder Programm „anzubieten“ hat, sondern sich selbst,
an den sich der Nachfolgende im JETZT des Rufes bindet. „..ein Christentum ohne Nachfolge (in diesem radikalen Sinn) ist immer ein Christentum ohne Jesus Christus.“
Wenn das wahr ist und Dietrich Bonhoeffer recht hat, dann würde es Christentum im Sinne Jesu nur noch vereinzelt in unserer Zeit geben, und die Kirche kann vieles sein,
ist aber dann nur noch an wenigen Orten Gemeinschaft der Nachfolgenden Jesu. Das wäre eine sehr bittere Erkenntnis, der wir uns nur demütig stellen könnten.
Aber das wäre schon etwas, vielleicht ein neuer Anfang. Aber eher werden wir wohl alles andere tun, um einer solchen Erkenntnis auszuweichen oder sie aufzuweichen.
Ehrlicher wäre als erster Schritt das andere: „Und Jesus sah ihn an und gewann ihn lieb und sprach zu ihm: Eines fehlt dir.
Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gib's den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm, folge mir nach!
Er aber wurde betrübt über das Wort und ging traurig davon; denn er hatte viele Güter.“ (Mk 10,21f.)
Gott sei Dank, dass unsere Bibel damit nicht endet…

Der elfte Schritt in die Passionszeit

Heute ist Halbzeit!
Dem Gang unserer Erzählung folgend sind wir noch in Jericho, wo wir Bartimäus begegnet sind, wo sich die Pilgergruppen sammeln, die gemeinsam zum Passahfest nach Jerusalem hinaufziehen wollen.
Die Hälfte unseres Weges dieser sieben Wochen liegt also hinter uns, die andere Hälfte liegt vor uns. Zeit auszuruhen, innezuhalten.
Ich setze den Rucksack ab und hole mir etwas zu essen und zu trinken heraus. Ich spüre meine Füße und den Rücken.
An manchen Hindernissen habe ich mich gestoßen, an manchen Stellen war mir der Weg zu steinig.
Ich weiß noch, an welcher Stelle ich fast umgekehrt wäre, weil es mir zu anstrengend wurde. Und was ich so alles mit mir herumschleppe!
Könnte ich nicht manches auf dieser Wanderung hierlassen? Was brauche ich noch? Was nicht mehr?
Und wird das reichen, was ich brauche – meine (geistliche) Nahrung, meine Ausdauer, mein Glauben, meine Hoffnung, meine Liebe?
Ich sehe mich um – Gott sei Dank bin ich nicht allein, auch jetzt, wenn der Abend kommt und es schnell kühl wird.
Dahinten wird ein Lagerfeuer angezündet. Ich werde mich dazu setzen.
Das wärmt – das Feuer, der Tee, die Gemeinschaft und das Singen.
Einer fängt an und singt, dann geht es als Kanon weiter: Row, row, row your boat - Gently down the stream - Merrily merrily, merrily, merrily - Life is but a dream.
„Das Leben ist nur ein Traum.“ Als ich einschlafe, sehe ich oben am Himmel noch die Sterne blinken.
Morgen geht es weiter…

Der zwölfte Schritt in die Passionszeit

Liebe Mitlesende, heute am 14.03.2021 ist der vierte Sonntag der Passionszeit - Laetare - Freuet euch!
Noch immer sind wir auf unserem Weg in Gedanken in Jericho und erleben dort diesen Tag…

An diesem Tag werde ich von freudigem Gesang geweckt.
Die Stimmung unter den Pilgern und in den Wandergruppen ist gut. Ich höre, wie einige rufen: Freuet euch mit Jerusalem und seid fröhlich über die Stadt, alle, die ihr sie liebhabt!
Freuet euch mit ihr, alle, die ihr über sie traurig gewesen seid. Ein Vers aus dem Buch des Propheten Jesaja, der diesem Sonntag seinen Namen gegeben hat: Freuet euch! – Laetare.
Bei Jesaja war es die Freude nach dem Leid, die Freude des Wiederaufbaus des Tempels nach der Zerstörung.
Als Jesus nach Jerusalem hinaufging, war es die Vorfreude auf Jesus, der da kommt im Namen des Herrn: Freuet euch mit Jerusalem!
Aber die Zerstörung seines Lebens durch Leiden und Folter am Karfreitag war nahe…
Würde es je wieder hell werden, war nicht alles umsonst – jede Hoffnung, jedes Aufstehen und wieder Aufrechtgehen?
Ich sehe heute an diesem Sonntag viel Rosa, eine Mischung aus Violett und Weiß. Viele der Pilger haben heute etwas davon an ihrer Kleidung, ein Tuch, ein T-Shirt, die Farbe der Socken…
Wenn Violett die Farbe des Leidens, der Buße, des Fastens ist und Weiß die Farbe des Lichts, der Freude, der Fülle ist, dann ist das Rosa beides in Einem: Es gibt Freude trotz des Leidens,
Fülle, trotz des Fastens, Freude trotz der Buße, Leben trotz des Todes.
Der Sonntag Laetare wird deshalb auch das „Kleine Ostern“ genannt.

Der dreizehnte Schritt in die Passionszeit

Liebe Mitlesende, heute am Mittwoch, den 17.03.2021, eine Geschichte aus dem Lukasevangelium, die aber ganz auf unserem „Weg“ liegt. 

Noch immer sind wir auf unserem Weg „hinauf nach Jerusalem“ in Gedanken in der Stadt Jericho. Von der Begegnung mit dem blinden Bartimäus haben wir schon gehört.
Heute noch eine Geschichte, die nur Lukas in seinem Evangelium erzählt – die Begegnung von Jesus mit dem Oberzöllner Zachäus (Lk 19,1-10).
Wie immer kann man Geschichten aus der Bibel mit einem besonderen Blick betrachten und je nach dem werden sie uns Verschiedenes erzählen.
Die Geschichte von Zachäus möchte ich hier einmal mit den Gegensätzen von „oben“ und „unten“, „groß“ und „klein“ betrachten.
Zachäus gehört zu den „oberen Zehntausend“ der Gesellschaft; er ist Oberzöllner. In der „Nahrungskette“ der damaligen Gesellschaft sitzt er am oberen Ende; das hat ihn reich gemacht.
Doch dieses „Oben“ hat für ihn eine Kehrseite: im Ansehen der Menschen ist er ganz „unten“: Weil Zachäus davon lebt, dass er den Menschen mehr Zoll abnimmt als nötig,
wird er nicht mehr viele Freunde gehabt haben: „Oben“ wird die Luft eben dünn…Und nun ist Zachäus auch noch klein von Wuchs!
Muss er dieses Kleinsein vielleicht durch sein Nachobenkommen und durch den Reichtum wieder gut machen?
Nun hört der kleine Oberzöllner Zachäus, dass Jesus durch seine Stadt Jericho kommt und er möchte gerne sehen, wer Jesus ist.
In Klammern gesagt: Hier ist viel Platz zu überlegen, was Zachäus´ Gründe gewesen sein könnten, Jesus zu sehen…
Nun muss sich der kleine Zachäus groß machen – sein Reichtum hilft ihm hier gar nichts – er muss auf anderem Weg nach oben, um besser sehen zu können und steigt auf einen Baum.
So ist er wieder oben angekommen. Jesus kommt vorbei und sieht ihn oben auf dem Baum sitzen.
„Steig schnell herab!, sagt Jesus zu ihm. Ob wir das so hören können – im Sinne von: „Nun komm mal runter von deinem hohen Ross!“ Oder: „Du musst dich nicht größer machen als du bist!“ ?
Wie immer wir das hören, Jesus sagt zu Zachäus noch einen Satz: „Denn ich muss heute Gast in deinem Haus sein.“
Darin liegt, glaube ich, das Wesentliche dieser Geschichte: Jesus zeigt Zachäus seine wahre Größe, die darin liegt, dass Jesus sein Gast sein muss und er, Zachäus, für Jesus Gastgeber sein kann. Damit gewinnt Zachäus Ansehen und wird wahrhaft erhoben. Und zugleich befreit Jesus den Zachäus von seinen Versuchen und Anstrengungen, sich selbst groß zu machen.
Zachäus folgt dem Ruf Jesu und steigt damit zum einen von dem Baum herab und kommt „zurück auf den Teppich“; zum anderen macht er sich in seiner hohen Gesellschaft „kleiner“, indem er die Hälfte seines Reichtums den Armen zurückgibt. Im Ansehen der Menschen wird er damit sicher wieder etwas wachsen…
Eine Begegnung, die das Leben von Zachäus verändert hat, ohne gleich alles vom Kopf auf die Füße zu stellen und „groß“ und „klein“, „oben“ und „unten“ vollkommen zu verändern,
aber immerhin sprach Jesus am Ende zu Zachäus: „Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, denn auch er ist ein Sohn Abrahams.“

Der vierzehnte Schritt in die Passionszeit

Liebe Mitlesende, heute am Freitag, 19.03.2021, ein Innehalten und Nachspüren unseres Weges…
Jericho – eine lange Station auf unserem Weg nach Jerusalem.
Wir wollen eben gut vorbereitet sein, bevor wir hinaufziehen.
Dazu könnte gehören, dass wir uns noch einmal umschauen.
Den Blick nach innen und nach außen richten.
Wo bin ich gerade auf meinem Weg?
Was sehe ich vor mir?
Was liegt hinter mir?
Geht mir alles zu schnell? Rennt mir die Zeit davon?
Spüre ich Stillstand und seit Jahren bewegt sich nichts mehr?
Wer ist an meiner Seite und „geht mit mir“? Durch „dick und dünn“, durch Höhen und Tiefen?
Weggemeinschaft heißt doch auch im Gespräch sein.
Seit ein Gespräch wir sind und hören voneinander, dichtet Hölderlin – heute sicherlich eine Sehnsucht vieler…Gespräch, ein wirkliches Gespräch und nicht nur ein miteinander reden, braucht Vertrauen und Vertrautheit.
Kann ich sagen, was ich denke und denke ich auch das, was ich sage?
Gibt es in der Weggemeinschaft also wirkliche Begegnungen?
Wir haben auf unserem Weg durch diese Zeit von Bartimäus und Zachäus gehört, deren Leben nach der Begegnung mit Jesus ein anderes war – ein beachtetes, aufrechtes, wieder aufgerichtetes, wieder ehrlicheres Leben. Wundergeschichten eben! Was wäre in meinem Leben nach einer solchen Begegnung anders? „Was soll ich für dich tun?“, fragt Jesus den Bartimäus. Was würde ich antworten?
Und wie sähe mein Leben dann aus?
Die Geschichten von Bartimäus und Zachäus werden in Jericho erzählt, der am tiefsten gelegenen Stadt der Welt; 250 Meter unter dem Meeresspiegel.
Bartimäus wusste, dass sein Leben auch an einem Tiefpunkt angekommen war; Zachäus ahnte das vielleicht, trotz oder wegen seines Reichtums.
Vielleicht war ich auch schon an einem Tiefpunkt in meinem Leben – Was hat mir geholfen, wieder „auf die Beine zu kommen“?
Vielleicht war es ja eine Begegnung, eine Frage, ein Gespräch? Jemand, der mir wirklich geantwortet hat und damit in diesem Moment Ver-antwortung übernommen hat,
ohne mich zu entmündigen, sondern um mir damit gerade meine Stimme wiederzugeben.
Wenn es so ist, wie man vermuten kann, dass in der Luft an Orten wie Jericho mehr Sauerstoff ist als an den Orten über dem Meeresspiegel, dann kann man dort besonders gut durchatmen.
Im übertragenen Sinne kann mir das Leben an einem Tiefpunkt so die Kraft geben, um wieder nach oben zu kommen.
Für unseren Weg hinauf nach Jerusalem und die 1000 Höhenmeter Unterschied auf einer Entfernung von 25 Kilometern werden wir viel Kraft und die Stärke der Gemeinschaft brauchen.

Der fünfzehnte Schritt in die Passionszeit

„Schaffe mir Recht, Gott!“
In diesen Ausruf werden wohl viele einstimmen, alle, die sich um ihr Recht betrogen fühlen,
die nicht bekommen, was ihnen zusteht. Zu Recht, denn es gibt leider viel zu viele Menschen, die das tatsächlich mit ganzem Recht fordern können, alle, die „in Finsternis und Schatten des Todes sitzen“,
die nicht das „tägliche Brot“ haben und alles, was das bedeuten kann und alle, die nicht sein dürfen, was sie sein könnten, wenn alles „in Ordnung“ wäre.
Dennoch gibt es in mir immer auch erst einmal die laute Stimme, die „mein“ Recht, das ich durchgesetzt haben möchte, einfordert, weil ich doch recht habe und das nicht bekomme!
„Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben…“, ein Lied, das auf diesen Ton gestimmt ist.
„Schaffe mir Recht, Gott!“, meint aber die Bitte, dass Gott die „Lebensordnung“ wiederherstellt.
Gott hat nicht nur die Welt und alles, was darinnen ist, erschaffen, ER hat seinem Volk mit der Torah auch die „Weisung“ für ein gutes Leben gegeben.
Das Wort „Weisung“ ist besser als „Gesetz“, weil es besser sagt, was gemeint ist: Wegweisung, Hinführung zum Leben.
Gott hat die „Weisung“ uns Menschen gegeben, damit steht ER auch für sie ein und kann angerufen werden, wenn gegen sie verstoßen wird.
„Recht“ ist hier die Lebensordnung für Gleiche; keine und keiner steht über der oder dem Anderen, weil wir alle Gottes Geschöpfe sind, verschieden – Gott sei Dank!, aber doch gleich.
Wird dieser Gleichheitsgrundsatz in der von Gott gegebenen Lebensordnung verletzt durch Gewalt und Unterdrückung in jeder Form, durch Ausbeutung, Verweigerung von Lebensmitteln und Lebenschancen, dann gerät das Leben als Ganzes in Unordnung.
Der Ausruf um Beistand, mit dem Psalm 43 beginnt (und wohl dennoch mit Psalm 42 zusammengehört) richtet sich an Gott und nicht an den König oder eine staatliche Gewalt.
Das kann uns auffallen. Wird dem König die Einhaltung dieses Rechts nicht mehr zugetraut? Sind er oder seine staatliche Gewalt vielleicht selber Teil des Unrechts?
Das wäre eine erschütternde und bedrängende Erkenntnis, wenn der König, der doch der das Volk Gottes „weiden“ soll, das nicht wie ein guter Hirte tut.
Vertrauen in die staatliche Ordnung geht verloren, Menschen werden innerlich heimatlos und verlieren durch Unrecht dann vielleicht auch noch ihre äußere Heimat.
Lesen wir den ganzen Psalm 43 und Psalm 42 zusammen, dann steht noch schmerzvoller die Frage nach Gott und seinem Handeln im Raum…
„Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott.“ (Ps 42,3) „Warum hast du mich vergessen?“ (Ps 43,10) „Warum hast du mich verstoßen?“ (Ps 43, 2) Die Fragen werden immer drängender.
Ohne Heimat auf der Erde wird Leben zum Überleben; ohne Heimat im Himmel stürzt das ganze Lebenshaus in sich zusammen. Wo gewinnen wir dann noch Halt?
„Schaffe mir Recht, Gott!“ Als Schöpfer bist Du doch auch der Garant der „Lebensordnung“, die durch Deine Weisung erhalten wird!
Woher weiß ich, dass mein Ruf nicht ins Leere geht, dass ich nicht umsonst bitte und bete?
Bei Eugen Drewermann fand ich diesen schönen Gedanken: Wenn ich in der Wüste vor Durst nach Wasser schreie, dann ist der Durst ein Zeichen, dass es Wasser geben muss.
Schreie ich in meiner Verlassenheit meine Sehnsucht nach Gott hinaus, dann ist das Sehnen nach Gott ein Zeichen, dass es IHN auch geben muss.
Wenn es auch kein Beweis ist, ein schöner tröstlicher Gedanke ist es allemal.

Der sechszehnte Schritt in die Passionszeit

Liebe Mitlesende,
das „Gelände“ wird schwieriger, die Schritte werden mir beim Schreiben immer länger…
Gedanken für heute, Mittwoch, den 24.03.2021.

Welche Wege wir schon in unserem Leben gegangen sind?!
Auf welche Wege uns das Leben schon geführt hat?!
Oder anders gefragt: Habe ich mir die Wege ausgesucht, auf denen ich gegangen bin?
Bin ich von allein, aus eigener Kraft, an diesen Ort gekommen, an dem ich jetzt bin?
Wollte ich jemals „hier“ sein?
Das Nachdenken darüber kann Staunen machen oder Erschrecken…
Lang können die Wege sein, manche nehmen immer den kürzesten Weg.
Andere kommen nie ans Ziel.
Wege können unwägbar sein, aufgeweicht durch Regen kommen wir nicht voran, oder uns weht an heißen Sommertagen auf schattenlosen Wegen der Staub ins Gesicht
und wir kehren wieder um und dahin zurück, von wo wir losgezogen sind. (Zurück zu den „Fleischtöpfen Ägyptens“?)
Manche haben ihre festen „eingefahrenen“ Wege, die sie nie verlassen,
andere suchen nach immer neuen Wegen – aus Neugier? Aus Unbeständigkeit oder Unrast?
Wir gehen schwere Wege miteinander und sind auf dem letzten Weg hoffentlich nicht allein.
Wege geben zu denken. So ist der Weg immer schon ein Symbol des Lebens gewesen – als Labyrinth, als Irrgarten oder als Spirale.
Jedes Symbol deutet das Leben auf seine Weise.
Was entspricht meiner Sicht auf den Lebensweg?
Gehe ich wie in einer Spirale, in der sich das Leben von innen nach außen „ent-wickelt“?
Dann gäbe es kein Ende; das Leben wäre vielleicht unendlich oder würde sich in das Ganze, in etwas Großes auflösen?
Oder vielleicht ist es umgekehrt und das Leben kommt aus dem Großen und Ganzen und läuft auf einen Punkt im Zentrum der Spirale zu, der das Ende und zugleich das Ziel ist?
Es gäbe nur einen einzigen Weg ohne Wahlmöglichkeiten; ich werde also geführt.
Ganz anders das Bild des Irrgartens! Ständig muss ich mich entscheiden. Immer komme ich an Wegkreuzungen: Gehe ich nach links oder nach rechts?
Ob ich an ein Ziel komme, bleibt ungewiss, immer. Ungewiss auch, ob es überhaupt eines gibt. Sackgassen eingeschlossen, aber auch mögliche Abkürzungen…
„Der Weg ist das Ziel.“ Das wäre der Wahlspruch. Sehe ich meinen Lebensweg so, bleibt immer ungewiss, was als Nächstes kommt; man kann das aufregend und spannend finden,
man kann daran aber auch verzweifeln und das Vertrauen in das Leben und sein Gelingen verlieren.
Am besten finde ich mich in einem Irrgarten zurecht, wenn ich von oben darauf gucken kann, aber wann habe ich im Leben schon den „Überblick“?
Bleibt das Labyrinth. Der Lebensweg ist hier ein Kreis, auf dem ich von außen nach innen in die Mitte geführt werde.
Was ist dann der Unterschied zur Spirale? Im Labyrinth gehe ich meinen Weg, der mich zum Zentrum führt, aber es wird immer wieder vorkommen,
dass ich der Mitte schon ganz nahe bin und dann noch einmal ganz weit weggeführt werde.
Verzweifeln muss ich darüber nicht, weil ich darauf vertrauen kann, dass ich auf dem einen Weg ans Ziel kommen werde, auch wenn ich die Erfahrungen von Kehrtwendungen und Abwendungen mache.
Nur Abkürzungen gibt es nicht wie im Irrgarten, dafür aber auch keine Sackgassen.
Es wäre schön, wenn ich für mein Leben ein (1) Bild oder Symbol hätte, aber es kann auch sein, weil ich doch nicht allein gehen möchte, dass der Weg mit manchen wie ein Irrgarten ist,
aus dem ich nur mit Mühe wieder herausfinde; mit andern „läuft“ es einfach.
Und mein Weg mit Gott? Unser Weg mit Jesus – hinauf nach Jerusalem – was wird das werden?
Ein Ankommen am Ziel, ein Weglaufen, ein Steckenbleiben in einer Sackgasse?

Der siebzehnte Schritt in die Passionszeit

Liebe Mitlesende,
„morgendliche“ Gedanken für heute, Freitag, den 26.03.2021.

Übermorgen sind wir da, übermorgen ist Palmsonntag.
Dann stehen wir vor den Toren Jerusalems!
Aber vor dem großen Tag kommt immer die Nacht…Niemand schläft da gut.
Die Gedanken kreisen. Die Aufregung, die Unruhe ist zu groß.
Mir fällt die Geschichte von Jakob ein. Eine wahre Nacht- und Nebelgeschichte.
Am nächsten Morgen wird er Esau wiedersehen, seinen Bruder, den er vor vielen Jahren um das Erstgeburtsrecht betrogen hatte.
Ja, seine Mutter Rebekka hatte ihm geholfen, ihn sogar angestiftet, aber fliehen und um sein Leben fürchten musste dann er. Viele Jahre ist das jetzt her.
Heilt die Zeit alle Wunden? Die Geschichte von Jakob erzählt etwas anderes.
Aber es ist die Hoffnung von allen und die Erfahrung von wenigen.
Ein neues Leben kann erst beginnen, wenn ich über den Graben bin, wenn ich durch den Sumpf, durch das Tal meiner Vergangenheit hindurch bin.
Aber da merke ich: Meine Vergangenheit liegt gar nicht hinter mir, sondern sie ist vor mir; ich muss sie noch einmal (hoffentlich ein letztes Mal für diesmal!) durchschreiten, mich durcharbeiten,
sonst komme ich nicht ans andere Ufer, wo ein neues Leben auf mich wartet. Aber noch ist es nicht soweit, erst kommt die Nacht.
Da ist niemand gerne allein, vor allem nicht draußen. Ungeschützt sind wir allen und allem ausgeliefert – dem „bestirnten Himmel über mir und dem moralischen Gesetz in mir“.
Was auch immer es war – in der Geschichte wird Jakob überfallen - in der Nacht vor dem großen Tag und er war allein.
„Da rang einer mit ihm…“, heißt es ganz rätselhaft – wieder eine Leerstelle, die wir füllen können, dass wir besser verstehen!
War es sein schlechtes Gewissen, waren es seine Schuldgefühle, die plötzlich hochkamen und ihn niederrangen? Ein Flussdämon oder die verborgene, dunkle Seite Gottes?
Vielleicht kommt es darauf auch gar nicht an, sondern darauf, was Jakob in dem ihn Überfallenden gesehen hat.
Jakob kämpft gegen das…?, gegen den…? an – „…bis die Morgenröte anbrach“.
Der neue Tag duldet die Nacht nicht; sie muss vergehen: „Es werde Licht…!“
Und es werde ein neuer Name! „Israel“-„Gottesstreiter“ soll Jakob nun heißen.
„Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“ Woher nimmt Jakob die Kraft, das zu sagen, zu rufen, zu schreien?
Ist es aus Verzweiflung, aus Schmerz, aus Glauben? Für mich ein ganz großer Satz aus der Bibel, von dem ich dennoch hoffe, dass ich ihn nie sagen muss…
Und wie klingt daneben der Schrei, vielleicht nur noch das vergehende Wispern: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“!
Für Jakob gibt es einen neuen Morgen, und kein Vorhang zerreißt im Tempel als Zeichen der dunkelsten Weltstunde. Jakob ging die Sonne auf.
Ein strahlender Morgen am anderen Ufer des Jabbok. Weites Land, Zukunft, liegt nun vor ihm. „Und er hinkte an seiner Hüfte.“
Ein Ringen mit meinem Dämon, mit meiner Schuld, mit der dunklen Seite Gottes hinterlässt Spuren, aber es sind keine Wunden mehr, die können nun heilen.
Übermorgen stehen wir vor den Toren Jerusalems. Es kommt noch die Nacht vor dem diesem Tag.
Werden wir wachen oder sowieso wach sein? Oder können wir vielleicht nur nicht schlafen, was nicht dasselbe sein muss…
Was könnte in mir aus vergangenen Gedanken, Worten und Werken nach oben kommen und mich gefährlich niederringen?
Durch was müsste ich mich vielleicht noch einmal hindurcharbeiten, um dann befreit und doch gezeichnet den zu erwarten, der da kommen soll in dem Namen des HErrn?
Und wenn ich dann dort bin: Was soll er mir bringen oder mir (anehmen? Wer ist er für mich – der Retter, der Befreier, der neue König, die helle Seite Gottes?
Werde ich versuchen, ganz nahe an ihn ranzukommen oder bleibe ich lieber im Hintergrund?
Aber nun bin ich schon wieder in Gedanken zu weit.
Will ich der Nacht vor dem großen Tag ausweichen?

Der achtzehnte Schritt in die Passionszeit

Liebe Mitlesende, heute am Sonntag, den 28.03.2021, beginnt mit dem Palmsonntag die Karwoche und wir hören – wie am 1. Advent – von Jesu Einzug in Jerusalem (Mk 11, 1-11).

„Jerusalem, du hochgebaute!“
Ja, hoch hinauf sind wir gestiegen, von Jericho im Jordantal hinauf nach Jerusalem, auf den Kamm des judäischen Gebirges, zur Wetterscheide.
Aber nicht nur das Wetter entscheidet sich hier, auch das Schicksal der Welt.
Und wir sind dabei. Jetzt muss doch endlich alles gut werden!
Wir haben so lange gewartet und ausgehalten. Die Last auf den Schultern wurde immer drückender.
Aber jetzt wird doch alles anders werden, weil ER kommt, da vorne, und so viele Menschen sind gekommen, ihn zu begrüßen als ihren König, ihren Heilsbringer und Befreier!
„Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Gelobt sei das Reich unseres Vaters David, das da kommt! Hosianna in der Höhe!“
So rufen sie, laut und immer lauter, mit Begeisterung, Hoffnung, verzweifelter Hoffnung in der Stimme.
Viele sind müde und haben in ihrem Leben schon so vieles ertragen.
Manche sind Jesus auf ihrem Weg begegnet, andere haben von ihm gehört.
Es ist, als ob eine Kraft von ihm ausgeht, die Menschen wieder aufrichtet, die ihnen wieder ein Lächeln in Gesicht zaubert und die Sorgenfalten verschwinden lässt – wenigstens für einen Moment.
Und kann das nicht immer so sein? „So soll sein. So kann es bleiben. So hab ich es mir gewünscht.“
Ein aufrechtes und (sorgen-)freies Leben. Ich stelle mir vor, dass das die Gedanken der „vielen“ waren, die Jesus in Jerusalem begrüßten und ihre Kleider und grüne Zweige auf den Boden legten und ihn begrüßten.
Ich sehe es als Bild vor mir: Das Stadttor, die vielen Menschen und Jesus auf dem Esel. Das dreht sich jemand zu mir, dem Zuschauer in der Ferne, um und ruft mir zu:
„Gedenkt an den, der so viel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat, dass ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst.“ (Hebr. 12,3, aus dem Predigttext am Sonntag).
Was ist das für ein Ruf? Woran will die Frau mich erinnern?  Dass viele nur wenige Tage später, am Karfreitag, das „Kreuzige! Kreuzige!“ geschrien haben?
Das ist wahr und es ist nicht leicht zu erklären, wie Jubel und Zustimmung so schnell in Gegröle und Hass umschlagen kann.
Haben die „vielen“ Jesus nicht verstanden? Haben sie einen anderen in ihm gesehen, als er in Wahrheit ist? Oder haben sie vor ihrem Mut und ihrer Hoffnung auf einmal Angst bekommen?
Weil es nun in den nächsten Tag gilt, sich zu entscheiden: Ist das Vertrauen und der Glaube an Jesus größer oder die Angst? Die Angst vor der Wirklichkeit eines Lebens, das er bringen könnte.
Das klingt paradox. Wie kann ich denn Angst haben vor dem, wonach ich mich so sehne?
Angst vor einem aufrechten Leben, vor dem Freisein, vor gegenseitiger Anerkennung und Begegnungen auf Augenhöhe. Mit einem Wort: Wie kann ich Angst haben vor der Liebe?
Aber ja…Das ist eine Frage, eine wirkliche, eine vielleicht oft nicht ausgesprochene oder eingestandene Frage. Will ich mit ganzen Ernst, dass die Liebe in mein Herz Einzug hält?
Solange sie noch „vor dem Tor“ steht, begrüße ich sie gerne mit Jubel, aber wenn sie dann da ist und in mein Herz einziehen will, dann kann das etwas ganz anderes sein: So viel neue Freiheit kann auch unheimlich sein…
Georg Weissel, der Dichter unseres Adventsliedes „Macht hoch die Tür“, hat die Geschichte vom Einzug Jesu in Jerusalem als je meine Geschichte verstanden.
Nicht Jerusalem damals ist wichtig. Nein, mein Herz heute ist „Jerusalem“, die hochgebaute, oft so stark gesicherte Stadt, in die ich kaum jemanden hineinlasse.
So müssten wir denn hören, was der Dichter uns zuruft und zusingt:
4. Macht hoch die Tür, die Tor macht weit,
eu’r Herz zum Tempel zubereit’.
Die Zweiglein der Gottseligkeit
steckt auf mit Andacht, Lust und Freud;
so kommt der König auch zu euch,
ja, Heil und Leben mit zugleich.
Gelobet sei mein Gott,
voll Rat, voll Tat, voll Gnad.

Und mutig könnten wir antworten:

5. Komm, o mein Heiland Jesu Christ,
meins Herzens Tür dir offen ist.
Ach zieh mit deiner Gnade ein;
dein Freundlichkeit auch uns erschein.
Dein Heilger Geist uns führ und leit
den Weg zur ewgen Seligkeit.
Dem Namen dein, o Herr,
sei ewig Preis und Ehr.

Singen wir dieses Lied deswegen am 1. Advent, weil wir in Vorfreude auf Weihnachten anders gestimmt sind oder anders eingestimmt werden als in der Passionszeit, dem Gedenken des Leidens Jesu?
Heute ist Palmsonntag und die Karwoche beginnt.
Lassen wir Jesus einziehen in unser Allerheiligstes, unser Herz und unsere Seele!
„Und er ging hinein nach Jerusalem in den Tempel und er besah ringsum alles…“
Was er da wohl zu sehen bekommt?

Der neunzehnte Schritt in die Passionszeit

Liebe Mitlesende, in der Karwoche werden wir jeden Tag einen „Schritt“ machen – die Zeit verdichtet sich. 
Gedanken am Montag, 29.03.2021, zur Tempelreinigung (Mk 11, 12-18)

Nun werden die Schritte kleiner und auch schneller. 
Die Ereignisse überstürzen sich fast.
Jesus ist in Jerusalem und er geht als erstes in den Tempel – dorthin, wo das Leben seinen Mittelpunkt hat und im Kult seine Kraft gewinnt. Er geht ins Herz der Stadt. 
Aber was er dort sieht, zeigt ihm, dass es krank ist, dass es nicht mehr richtig schlägt, dass das Leben so keine Kraft gewinnen kann. 
Ein Bild dafür ist der verdorrte Feigenbaum, den Jesu seinen Jüngern auf dem Weg zum Tempel als Gleichnis zeigt, ein Feigenbaum voll mit Blättern, aber ohne Früchte. Schöner Schein, der trügt und leer ist… 
„An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“ War das nicht auch ein Satz, den Satz gesagt hat? 
Wenn der Feigenbaum auch für mich steht und die Tempelreinigung auch mein Herz und meine Seele meint…Da wird der Jubel von gestern schon leiser. 
Aber wer in mir ist es, der jetzt leiser wird und vielleicht schon anfängt zu grollen?
Der Tempel ist der Mittelpunkt des Lebens mit Gott. Dort wird der Gottesdienst gefeiert. 
Dort findet der Austausch mit Gott statt, im Hören und Beten, im Singen und Opfern.
Diese Art des „Austauschs“ ist dem Volk Israel von Gott aufgetragen – ein Gottesdienst zum Leben, ja, der nach Regeln erfolgen soll, aber immer in der Gefahr steht, durch Gesetze zu erstarren oder der verkehrt wird, 
wenn der Dienst an Gott als Leistung und Verdienst der Menschen Gott gegenüber betrachtet und IHM im wahrsten Sinne „vorgehalten“, auf den Händen IHM entgegengestreckt wird. 
Dann gerät der natürliche „Austausch“ ins Stocken und stattdessen gibt es nun „Käufer und Verkäufer“ und „Geldwechsler“ - das Gleichgewicht geht verloren und alles kommt zu Fall.
Solche „Käufer und Verkäufer“ und „Geldwechsler“ können doch in meinem Herzen und in meiner Seele den Kontakt und Austausch mit Gott regeln wollen: 
„Sieh, was ich Gutes habe! Es ist doch gut, oder? Nun nimm es an und dafür erwarte ich von, dass Du mir….“ 
„Und hier: Dieses Geld, das ich gebe, tausche ich gegen Deine Gnade und Vergebung für…“
Unsichtbare, aber mächtige „Hohepriester und Schriftgelehrte“ der Seele und des Herzens.
Nur zu gerne, nur zu genau wollen sie meinen Gottesdienst und meinen Dienst an den Menschen regeln und reglementieren. 
Wo Jesus sie bei seinem „Einzug“ in mein Herz und meine Seele sieht, da wird er zornig, da stößt er alles um und will mich zur Besinnung bringen darauf, wozu ich da bin: Dass mein Herz ein „Bethaus“ sein soll. 
Bin ich bereit, mir das sagen zu lassen? 
Ja, gestehe ich der Geschichte von der Tempelreinigung überhaupt zu, mir so nahe zu kommen? 
Dass sie nicht nur Erzählung eines Damals ist, sondern eines Heute und für mich?

Der zwanzigste Schritt in die Passionszeit

Liebe Mitlesende, einen „Schritt“ weiter gehen wir heute am Dienstag, 30.03.2021, mit Gedanken zur Salbung in Bethanien (Mk 14, 1-9).
Was würde ich für jemanden tun, von dem ich weiß, dass er oder sie nur noch wenig Zeit zu leben hat?
Einen Wunsch erfüllen? Noch einmal alle Freunde und die Familie zusammenbringen?
Noch einmal das Lieblingsessen kochen, einen Film sehen oder eine Musik zusammen hören?
Im Wissen um die absolute Begrenztheit der Zeit wird sie wertvoll und kostbar wie….
Ja, wie was eigentlich? Gold? Edelsteine? Oder ist Zeit (am Ende – in jedem Sinn) doch das Wertvollste, was wir haben?
Die gefüllte Zeit – gefüllt mit Worten, Blicken, Berührungen.
Da kommt also eine Frau zu Jesus, zwei Tage vor dem Pessachfest. Nicht zu früh, nicht zu spät, genau richtig für das, was sie vorhat.
Aber was hat sie vor? Und weiß sie, was sie da tut?
Jesus wird es deuten. Ob das auch ihre Absicht war, wissen wir nicht.
Und sie weiß, wo sie Jesus finden kann: In Bethanien, im Haus Simon, des Aussätzigen. Dort ist Jesus zu Gast und „liegt“ zu Tisch.
Anstößig schon das. War es nicht schon ein Skandal, dass er sich bei Zachäus eingeladen hat? „Ich muss heute bei dir zu Gast sein…!“
Und dann noch diese Szene! Wertvollstes Nardenöl aus einem ungeöffneten Fläschchen nimmt die Frau und gießt es über seinen Kopf.
Was soll das? So ein Unsinn! Was für eine Verschwendung! So dachten manche, die es gesehen habe und halten es der Frau vor.
Ja, es war Nardenöl im Wert eines Jahresgehalts, vielleicht eines Arbeiters; in jedem Fall für die meisten im Wert einer unvorstellbar großen Summe.
Ausgegeben, vergossen in einem Moment, einem Augen-Blick.
Und was hätte man damit Sinnvolleres, Besseres, Nützlicheres tun können, z.B. für die Armen?!
Ein Wort, eine Geste, eine Handlung aus Zuneigung, Sympathie, aus Liebe zur richtigen Zeit ist das vielleicht Wertvollste, was wir Menschen haben.
Dahinter steht aller materielle Wert zurück; im besten Fall wie hier ist dieser Wert Ausdruck für das Ideelle, das sich darin fest macht.
Jesus deutet das, was die Frau für ihn tut. Es sei „ein gutes Werk“ gewesen. „Sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt zu meinem Begräbnis.“
Die Auslegungen von Eugen Drewermann sind mir beim Verstehen eine große Hilfe.
Er setzt diese Salbung, das Sanfte und Liebevolle darin, in Kontrast zu der Brutalität, mit der Jesus am Karfreitag getötet wird.
Gerade so aber wird die absichtslose Güte der Frau zu einem Zeichen der Menschlichkeit und der Liebe, die jede Gewalt und jedes Leid noch einmal mehr ins Unrecht setzt.
Und zugleich können wir die Salbung, die die Frau an Jesus vollzieht, schon als Zeichen der Hoffnung auf seine Auferstehung sehen.
Nur im Glauben, dass der Leib Jesu, den die salbt, auch wieder auferstehen wird, gewinnt ihre Handlung einen Sinn, der jede Zeit überschreitet und für immer gültig bleiben wird.
„Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie getan hat.“

Der einundzwanzigste Schritt in die Passionszeit

Liebe Mitlesende, heute am Mittwoch, den 31.03.2021 begegnet uns auf unserem Weg Judas…

Der Verrat des Judas (Mk 14,10-21)
Mit der Kapitelüberschrift in der Lutherbibel, die von „Verrat“ spricht, sind wir schon mitten in der wichtigsten Frage, wenn es um Judas geht.
Hat er Jesus verraten? So schnöde und gemein, wie wir es uns nur denken können und dann noch für Geld?! Ist Judas der verworfene Mensch schlechthin?
In der Geschichte der Evangelienschreibung und - Gott sei es geklagt - in der Geschichte der Kirche ist Judas zum Stereotyp des bösen und gemeinen Menschen schlechthin gemacht worden
und an ihm konnte sich jede Form antijüdischer Vorurteile festmachen und zieht ihre blutige Spur durch die Zeiten.
Deswegen und um seiner selbst willen sollten wir nicht so schnell mit Judas „fertig“ sein, sondern noch einmal fragen: Hat er Jesus so ganz gemein verraten?
Ein ganz entgegengesetztes Verständnis der Figur des Judas hat Walter Jens in seinem Buch „Der Fall Judas“ versucht zu erreichen.
In einer fiktiven Verhandlung vor dem lateinischen Patriarchen von Jerusalem sollte 1960 ein Prozess stattfinden, der die Erklärung zum Ziel haben sollte,
dass Judas Ischkarioth in die Schar der Seligen aufgenommen worden sei. Zur Begründung sein im Wesentlichen zu sagen, dass Judas von Jesus selbst die schwerste Aufgabe übertragen wurde,
nämlich Jesus an die Römer auszuliefern. Ohne diesen Dienst wäre der Heilsplan Gottes, die Menschen zu retten, nie in Erfüllung gegangen. Hätte Judas nein gesagt zu diesem Auftrag, wären wir alle verloren.
Eine andere Überlegung in ähnlicher Richtung ist die, dass Judas, ein Zelot, ein militanter Gegner der römischen Besatzungsmacht, Jesus durch seinen „Verrat“ dazu bringen wollte,
sich als Messias, als Befreier, zu offenbaren und die politische Befreiung des Volkes Israel in Gang zu setzten.
Auch das wäre kein Verrat gewesen, eher eine Nötigung, dass Jesus endlich „aus der Deckung“ kommt und sich in seiner göttlichen Macht als Retter erweist.
Mir sind diese Gedanken zur Rehabilitation des Judas immer sehr nahe gewesen – die Suche nach einem anderen Motiv für sein Handeln als pure Gemeinheit und scheinbare Geldgier.
Ob er eine Rolle im göttlichen Heilsplan hatte oder ob er Jesus in die Enge treiben wollte, dass er endlich gegen die Römer losschlägt, man kann das nicht wissen, aber ich will es gerne glauben.
In jedem Fall wäre Judas´ Handeln dann kein Verrat gewesen.
Daher ist in den Überlegungen zu Judas der Begriff der „Auslieferung“ oder „Überlieferung“ Jesu in die Hände der Römer an die Stelle des Verrats getreten.
Für mein Verständnis bevorzuge ich diese Bezeichnung.
In jedem Fall kamen durch die Überlieferung Jesu an die Römer nun die Ereignisse in Gang, die zum Karfreitag mit der Verurteilung Jesu und dem Tod am Kreuz geführt haben.
Und wieder gab es eine letzte und so bedeutsame Nacht vor einem (alles) entscheidenden Tag…

Der zweiundzwanzigste Schritt in die Passionszeit

Liebe Mitlesende, es ist Gründonnerstag, der 01.04.2021. Wir erinnern an das Abendmahl (Mk 14,12-26).
Die Streitigkeiten um das Abendmahl von der Alten Kirche bis in die Reformationszeit, das Bild Leonardo da Vincis, Richard Wagners „Parsifal“ (allerdings zum Karfreitag und doch mit dem schönen Gedanken: „Zum Raum wird hier die Zeit…“),
das erste Abendmahl bei der Konfirmation, die Frage, wie oft soll das Abendmahl gefeiert werden?, Abendmahl und die Frage der Öffnung der Zulassung („Abendmahl – einladend feiern“), Abendmahl in Zeiten der Corona-Pandemie… –
immer und immer wieder beschäftigt uns dieses Sakrament. Von all dem, was dazu gesagt werden könnte, heute nur ein Gedanke: das Abendmahl verbindet.
(Dass es gerade auch im Streit darüber so lange, so viele Menschen getrennt hat und bis heute trennt, liegt vielleicht paradoxerweise gerade an dem Verbindenden.
Eine Gruppe, die für sich die Wahrheit dieses Sakraments erkannt hat, möchte eben deswegen ganz besonders und exklusiv verbunden sein – untereinander und mit Jesus –
und muss darum - menschlich, allzu menschlich…- andere davon ausschließen, die die erkannte eigene Wahrheit nicht teilt…)

Das Abendmahl verbindet. Durch Raum und Zeit.
Wenn wir heute am Gründonnerstag das Abendmahl feiern, sind wir verbunden mit allen, die an verschiedenen Orten Abendmahl feiern wie wir.
Wenn wir Brot und Wein teilen, „erinnern“ wir an das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern damals in Jerusalem. Diese Vergangenheit ist gegenwärtig.
Wir über-setzen sie in unserem Heute. Oder das Gleiche nur anders gesagt: Es ist, als ob wir damals dabei gewesen wären – beim letzten Mal Jesu.
Zwischen der Vergangenheit und unserer Gegenwart gibt es eine Gleichzeitigkeit. Die Zeit fließt ineinander.
Die Grenzen sind aufgehoben – aber nur für diesen einen Moment des Abendmahls.
Dieser Gedanke ist auf vielen Altarbildern in unseren Kirchen sogar zu sehen: Jesus sitzt mit seinen Jüngern in einem offenen Halbkreis an einem Tisch,
und durch uns, die wir uns heute davor einem zweiten Halbkreis versammeln, wird der Kreis geschlossen. Wir sind mithineingenommen in die Feier damals.
Wir sind verbunden mit Jesus und den Jüngern und miteinander. Dann aber auch mit allen Fragen, die die Jünger damals hatten: „Bin ich´s Herr?“
Wie ist meine Verbindung zu Jesus? Wie nahe lasse ich ihn mit seinen Gedanken, Worten und Werken an mich heran und lasse ihn in Herz und Seele einziehen? So wie wir es am Palmsonntag doch gefeiert haben…
In der Gleichzeitigkeit von Vergangenheit und Gegenwart im Abendmahl gelten uns dann aber auch Jesu Worte über Brot und Wein: „Das ist mein Leib.“ „Das ist mein Blut.“
Geschenkworte. Jesus schenkt sich uns in Brot und Wein. Lebensmittel – das, was wir zum Leben brauchen. Dass wir leben können – durch ihn. Dass wir gestärkt werden – durch ihn.
Mit Brot und Wein lassen wir uns beschenken. Wenn wir es annehmen, nehmen wir Jesus in uns auf und haben so die engste Verbindung miteinander: „Ihr in mir und ich in euch…“
Wie damals, so auch heute und in der Zukunft. Denn die Verbundenheit in der Zeit gilt auch in die Zukunft hinein.
Was wir heute feiern, ist eine Vorwegnahme der Fülle, wenn Gott sein wird „alles in allem“, wenn die Königsherrschaft Gottes in Vollendung „da“ sein wird.
Noch beten wir: „Dein Reich komme.“, aber einmal wird es in Vollendung da sein, dann werden wir gemeinsam das Mahl mit Jesus feiern.
Von dieser Hoffnung lesen wir auch im Markusevangelium: Jesus spricht am Ende der Abendmahlsfeier:
„Wahrlich, ich sage euch, dass ich nicht mehr trinken werde vom Gewächs des Weinstocks bis an den Tag, an dem ich aufs Neue davon trinke im Reich Gottes.“ (Mk 14,25)
So ereignet sich in der Feier des Abendmahls etwas ganz Besonderes und Einmaliges: Die Zeit „stürzt“ für einen Moment in einem Punkt zusammen:
Was für uns getrennt ist in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist hier in diesem Moment gleichzeitig. Die Zeit wird wie durchsichtig nach „vorne“ wie nach „hinten“.
Ich finde diesen Gedanken ganz wunderbar; er hebt uns aus dem Alltag heraus, wir „erheben unsere Herzen“, wie es in der Liturgie zum Abendmahl heißt.
Wir sind beschenkt mit der Gewissheit unseres Heils in der Verbundenheit mit Jesus.
Was kann es Schöneres geben? 

Der dreiundzwanzigste Schritt in die Passionszeit

Liebe Mitlesende, es ist Karfreitag, der 02.04.2021 - Tag der Kreuzigung des Herrn (Mk 15,20-41)

Wir ziehen hinauf nach Jerusalem.
Nun sind wir da.
Seit Palmsonntag stehen wir in seinen Toren.
Beim Nachdenken über unseren Weg könnte einem schwindelig werden – was haben wir alles erlebt!
Und das ist hoffentlich mehr, als wir gehört und gelesen haben.
Wir sind doch auch einen inneren Weg gegangen – mit uns selbst, mit unseren Gedanken und Erfahrungen, die wir mitgebracht haben, die sich uns zugesellt und eingestellt haben.
Wie bin ich am Aschermittwoch losgegangen?
Wie geht es mir heute?
Was hat sich verändert?
Bin ich innerlich lauter geworden oder stiller?
Leichter oder beschwerter?
Ist mir Jesus näher gekommen oder fremder geworden?
Und ich weiß, es ist noch nicht vorbei.
Ich habe noch die Probe heute zu bestehen – das Kreuz, Jesus, den Gekreuzigten.
Wo stehe ich heute?
Bis wohin bin ich auf unserem Weg mit Jesus gekommen?
Bis wohin konnte ich ihm folgen?
Bin ich noch bei ihm – heute?
Oder habe ich ihn wie die Jünger verlassen und bin geflohen?
Ich meine das gar nicht moralisch mit einem vorwurfsvollen Unterton, auf den ich dann antworten könnte: „Ich doch nicht!“
Der Weg Jesu war ein besonderer und ganz einmaliger Weg.
Er hat der Versuchung der göttlichen Allmacht und der Macht über andere Menschen widerstanden.
Und indem er sich selber nicht größer gemacht hat, konnte er aber anderen ihre Größe zurückgeben:
dem auf der Erde sitzenden und bettelnden Bartimäus, dem kleinen Zachäus.
Ich erinnere mich, wie er bei Bartimäus stehen blieb, sich ihm zuwendete und ihn so angesehen hat, dass er wieder sehen konnte!
Und dass er Zachäus genötigt hat, ihn als Gast aufzunehmen und ihm damit Anerkennung zurückzugeben.
Und ich frage mich heute im Rückblick, was hat Jesus dazu gebracht, sich anderen gegenüber so zu verhalten? Es war doch nicht nur Freundlichkeit!
Oder wie wir mal freundlicher sind als an anderen Tagen und mal jemanden grüßen, den wir lange nicht „bemerkt“ haben. Das war es bei Jesus doch nicht.
Der Unterschied, das ihm ganz Eigene seines Verhaltens den Menschen gegenüber war sein Angstlosigkeit. Er hatte keine Angst, er kannte keine Enge in sich und konnte deswegen seine Arme und sein Herz so weit machen.
Weil er wie kein anderer die Liebe Gottes im wahrsten Sinne verkörperte, konnte er ohne Angst leben und anderen zeigen, wie so ein Leben ist.
Sein Leben ist eine Einladung an uns, ebenso angstfrei zu leben, anderen gegenüber, uns selbst gegenüber und Gott gegenüber.
Angst? Ist das denn noch ein Thema? Sicher längst nicht so offensichtlich wie in früheren Zeiten, aber ganz sicher nicht weniger mächtig: die Angst zu kurz zu kommen, dass mir etwas vorenthalten wird, was mir doch zusteht.
Die Angst dem Leben und den Menschen gegenüber, weil ich zu wenig Liebe, Geborgenheit und Annahme erfahren habe und vielleicht sogar Zurückweisung und Ablehnung kennengelernt habe,
so dass Vertrauen zu mir selbst, in das Leben, die Welt und zu Gott kaum wachsen konnten.
Die Angst, Einfluss, „meine Position“, was ich mir erarbeitet habe zu verlieren, ist ebenso mächtig; wird sie aktiviert, kann es sein, dass ich mich kaum wiedererkenne: was ich dann denke, sage, vielleicht sogar bereit bin zu tun…
Wenn mir dann auf meinem Weg Jesus begegnet, kann das ganz unterschiedlich ausgehen: Entweder befreit er mich von Ängsten oder meinen „Dämonen“, die mir vielleicht nicht einmal bewusst waren und bringt mich zu einem neuen Leben zurück
oder ich fühle mich durch ihn und seine sanfte, liebevolle und gewaltfreie Art in meiner Sicht auf das Leben angegriffen und bedroht.
„Wo kämen wir denn da hin, wenn das alles so machen würden!? Das reinste Chaos! Kein oben und kein unten mehr. Da geht jede Ordnung den Bach runter! Nicht mit mir! So nicht!“
Und so lesen wir es ja auch, wie sehr Jesu Auftreten und seine Worte und sein Handeln Widerspruch und Feindschaft hervorrufen – sicher aus der Angst vor dem, was daraus folgen würde, wenn das „Schule machen“ würde.
Es ist kaum anders vorstellbar, als dass Jesus auf seinem Weg immer mehr ahnte und ihm klar wurde, wohin und wozu ihn sein konsequenter und radikaler Weg führen würde:
Dass die Feindschaft und der Hass der Menschen, die sich durch ihn bedroht fühlen mussten, ihn am Ende das Leben kosten würden, dass die Liebe Gottes, die er ganz lebte, ihn das genau dieses Leben kosten würde.
Es klingt paradox, aber im Tiefsten wird es wohl so gewesen sein und würde es heute wieder und immer noch sein…
Und dabei offenbart uns Jesu Tod am Kreuz das Ende dieses Weges, der aus Angst die bedingungslose Liebe nicht aushält und aus der Welt schaffen muss. Am Karfreitag endet dieser Weg.
Die ganze Last, die ganze Gewalt, der ganze Schmerz, die unser Leben in die Welt und in die Beziehungen gebracht hat, trägt Jesus am Kreuz.
Kein anderer konnte das so malen wie Matthias Grünewald aus dem Isenheimer Altar. Wie sich der Balken unter der Last des übermenschlich großen und so geschundenen Körpers Jesu biegt!
Was unsere Angst anrichtet, steht uns hier vor Augen.
Es sollte uns still und nachdenklich werden lassen.

Der fünfundzwanzigste Schritt in die Passionszeit - Ostern!

Liebe Mitlesende, es ist Ostern! Tag der Auferstehung des Herrn!
Ostern – das ist der erste neue Morgen in einer neuen Zeit!
Ostern – das sind neue Träume für ein Morgen, das kommt!
Das Aschekreuz wischen wir von der Stirn
mit den Freudentränen auf dem von der Sonne beschienenen Gesicht.
Aus der Asche schlägt neues Feuer.
Aus dem Kreuz wächst neues Leben.
Und wieder Aufbruch.
Geht nach Galiläa – dorthin, wo das neue Leben längst begonnen hat.
Geht dorthin, wo ihr ihm zuerst begegnet seid.

Wie Träumende
Wie Suchende
Wie Hoffnungsfrohe
Wir sind!
Denn der HErr ist auferstanden!
ER ist wahrhaftig auferstanden!